Der Rücktritt Annans als Syrien-Vermittler ist ein weiteres
Signal, dass Syriens Zukunft nun militärisch entschieden wird. Der
Westen darf dem Konflikt nicht tatenlos zusehen, meint Dennis Stute.
DW-Redakteur Dennis Stute
Der Rücktritt des Syrien-Sondergesandten Kofi Annan kann niemanden überraschen. Der Friedensnobelpreisträger ist in den vergangenen Wochen zunehmend zur tragischen Figur geworden. Während sowohl der Westen als auch Russland, China, der Iran und selbst die syrische Führung seinem Friedensplan zugestimmt hatten, der ein Ende der Kampfhandlungen, einen politischen Dialog und demokratische Freiheiten vorsah, war die Realität eine andere.
Syriens Diktator Baschar al-Assad machte vermeintliche Zugeständnisse und ließ die Sicherheitskräfte zugleich mit zunehmender Gewalt gegen Rebellen und Zivilisten vorgehen. Russland und China blockierten im UN-Sicherheitsrat sämtliche Resolutionen, die den Druck auf Assad hätten verstärken können. Saudi-Arabien beliefert die Rebellen mit westlicher Duldung mit Waffen. Die Türkei stellt ihnen ihr Territorium als Rückzugsraum zur Verfügung. Diplomaten ließen gegenüber Journalisten durchsickern, dass die USA nur noch wenig von Annans Festhalten an einer Verhandlungslösung halten. Und die syrische Opposition hatte von Anfang an jegliche Verhandlungen mit der Regierung ausgeschlossen.
Düstere Aussichten
So bleibt kaum etwas von Annans Bemühungen übrig. Zu der Waffenruhe, der Rebellen und Regierung im Frühjahr zugestimmt hatten, kam es faktisch nie. Eine Fortsetzung der UN-Beobachtermission in Syrien über den 19. August hinaus ist noch ungewiss. Auch hier gilt leider der Befund, dass ein Ende nur konsequent wäre. Weil die UN-Inspektoren wiederholt zwischen die Fronten geraten waren, sind sie seit Juni ohnehin weitgehend in ihren Hotels gefangen.
Kofi Annans Rücktritt ist ein weiteres Signal, dass die Versuche einer friedlichen Beilegung des Konflikts gescheitert sind. Syriens Zukunft wird nun wohl militärisch entschieden. Nach derzeitiger Lage sind nur zwei Szenarien denkbar: Entweder wird der Konflikt so blutig, dass beide Seiten an irgendeinem fernen Punkt doch zu Verhandlungen gezwungen sein werden. Oder – worauf angesichts der Erosionserscheinungen der Regierung und der Erfolge der Rebellen alles hindeutet – das Assad-Regime fällt. Dann muss in dem religiös und ethnisch fragmentierten Land mit einer Fortsetzung des Bürgerkriegs unter anderen Vorzeichen gerechnet werden. In beiden Fällen droht ein lang andauernder Konflikt, der Gesellschaft und Strukturen so nachhaltig zerstört, dass das Land für lange Zeit instabil bleiben wird - mit verheerenden Auswirkungen auf die ganze Region. Schon jetzt sind nach UN-Schätzungen 16.000 Tote zu beklagen, hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. Der Konflikt hat praktisch das gesamte Land erfasst.
Zögernde NATO-Staaten
Weil das unerträglich ist, werden mit dem Scheitern der Diplomatie nun die Rufe nach einem militärischen Eingreifen unweigerlich lauter werden. Doch der Westen hält sich bislang zurück, denn nach den Erfahrungen in Afghanistan und im Irak will man nicht erneut in einen asymmetrischen Krieg verwickelt werden. Die NATO-Staaten tun gut daran, auch das libysche Modell bislang nicht ernsthaft in Erwägung zu ziehen, also die Regierungstruppen aus der Luft anzugreifen und das Kämpfen und Sterben am Boden Einheimischen zu überlassen. Luftschläge bedeuten immer auch zivile Opfer. Im Vorhinein lässt sich zudem nicht absehen, ob die beteiligten Staaten am Ende nicht doch in einen Bodenkrieg verwickelt werden. Darüber hinaus würde man eine Rebellenarmee unterstützen, die das Kriegsvölkerrecht verletzt und sich, wenn auch in geringerem Maße als die Regierungstruppen, Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat.
US-Präsident Barack Obama dürfte sich bewusst sein, welche innenpolitischen Folgen es für ihn hätte, sollte er eine Opposition an die Macht bomben lassen, unter der es zu Racheakten an den alawitischen und christlichen Minderheiten kommt, die von vielen Sunniten als Assad-Unterstützer gesehen werden. Viele Sunniten haben nicht vergessen, dass Assads Vater 1982 bis zu 20.000 von ihnen regelrecht abschlachten ließ. In Syrien sind noch viele Rechnungen offen - und es werden täglich mehr.
Klug und doppelzüngig
Gleichwohl werden die Rebellen die Zukunft Syriens bestimmen, auch wenn derzeit niemand sagen kann, wie diese aussehen wird. Um Einfluss auf die Post-Assad-Ordnung nehmen zu können, kann sich der Westen den Forderungen nach Unterstützung nicht verschließen. Die Politik der USA ist deshalb klug. Bislang unterstützen sie die Freie Syrische Armee nur mit Ausrüstung wie Kommunikationstechnik. Diese Linie ist jedoch auch doppelzüngig. Zwar überlassen die USA die Waffenlieferungen – zumindest nach dem, was derzeit bekannt ist – anderen, zugleich sind sie jedoch indirekt daran beteiligt: In der Türkei sind CIA-Agenten offenbar darum bemüht, die Waffenausgabe zu überwachen, um zu verhindern, dass sie in die Hände von Terroristen aus dem Al-Kaida-Umfeld gelangen.
Auch wenn sich ein militärisches Eingreifen verbietet – tatenlos zusehen muss die Staatengemeinschaft nicht. Die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in den Nachbarstaaten ist vielerorts noch mangelhaft. Das muss dringend verbessert werden, um der notleidenden Zivilbevölkerung zumindest die Möglichkeit zu eröffnen, in Erwartung einigermaßen erträglicher Lebensbedingungen Syrien zeitweilig zu verlassen. Darüber hinaus müssen die Anstrengungen verstärkt werden, die Zivilisten im Land zu versorgen. Bis zu drei Millionen Syrer könnten in den nächsten zwölf Monaten auf Hilfslieferungen angewiesen sein.
Das zu ermöglichen ist eine Aufgabe für Annans Nachfolger, nach dem bereits gesucht wird. Annan glaubt, dass sich jemand finden wird. "Die Welt ist voller verrückter Leute wie ich", erklärte er. Das mag sein. Doch dass sich noch einmal jemand von vergleichbarer Statur auf die Mission einlässt, darf man bezweifeln.
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