воскресенье, 12 августа 2012 г.

Religion wird bunter - Glaube in Deutschland

In Deutschland herrscht Religionsfreiheit. Die meisten Deutschen bekennen sich zum Christentum. Aber die Zahl derer, die nicht mehr glauben, oder sich ihren eigenen Glauben basteln, wächst.
Die Frage, woran die Menschen in Deutschland glauben, ist nicht schnell zu beantworten. Die nach der Religionszugehörigkeit dagegen schon. Dafür reicht ein Blick in die Statistik, die auf Ergebnissen des Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienstes (REMID) basiert:

2012_07_02_ReligionDeutschland.psd Infografik Religionen und Glaubensgemeinschaften in Deutschland
Derart statistisch belegt kann Deutschland also noch immer als christliches Land bezeichnet werden. Allerdings deutet sich mit der hohen Zahl Religionsloser und Nichtgläubiger ein Wandel an. Vor kurzem erst haben Religionssoziologen Ostdeutschland als die religionsloseste Region der Welt ausgemacht.
Christliches Abendland im Wandel
Nicht nur die stetig steigende Zahl von Agnostikern, die die Existenz Gottes weder bestreiten noch bejahen, und Atheisten, die daran glauben, dass es kein höheres Wesen gibt, deutet auf einen Veränderungsprozess hin. So sagten kurz vor Weihnachten 2011 in einer repräsentativen Umfrage noch 63 Prozent der Befragten, sie glaubten an Gott. Auch glauben 59 Prozent, dass Jesus Gottes Sohn ist. Christliche Grundüberzeugungen wie der Glaube an ein Leben nach dem Tod, das teilen 48 Prozent, oder an das Jüngste Gericht, 29 Prozent, werden laut dieser Erhebung des Meinungsforschungsinstituts TNS-Emnid jedoch nicht mehr von der Mehrheit geteilt.
Auch im Ausüben des christlichen Glaubens bröckelt Altgewohntes. So nimmt nur noch eine kleine Minderheit der Kirchenmitglieder am Gemeindeleben teil. Der regelmäßige Gottesdienstbesuch bei Deutschlands volkskirchlichen Protestanten bewegt sich bei mageren 3,6 Prozent, das macht in absoluten Zahlen gerade mal rund 860.000. Etwas besser steht mit knapp 13 Prozent, 3,1 Millionen Kirchgängern, die Katholische Kirche da. Zum Vergleich: Im Jahr 1950 besuchten noch mehr als die Hälfte der Katholiken regelmäßig den Gottesdienst.

Betende Mädchen (AP Photo/Czarek Sokolowski) Kommt das Beten aus der Mode?
Laut Umfrage nehmen außerdem alltägliche persönliche Glaubenspraktiken ab. So wird etwa das Tischgebet immer unpopulärer. Während Mitte der 1960er Jahre noch fast jeder Dritte täglich Gott für das Essen dankte, waren es im Dezember vergangenen Jahres nur noch sechs Prozent. Außerdem: Die Hälfte der Deutschen liest nie in der Heiligen Schrift, der Bibel. Eine konsequente Folge einer abnehmenden christlichen Bindung ist der Austritt aus der Institution Kirche. Mehr als 300.000 Bürger beenden ihre formelle Mitgliedschaft Jahr für Jahr.
Deutschland erstaunlich religiös
Um einen Überblick darüber zu bekommen, was Menschen rund um den Globus glauben, führte die Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2008 in 21 Ländern den sogenannten "Religionsmonitor" durch. Diese religionssoziologisch angelegte Repräsentativ-Umfrage sollte ausloten, was den Menschen am Glauben wichtig ist, wodurch sich ihre Religiosität auszeichnet, welche Emotionen sie damit verbinden und welche religiösen Alltagspraktiken sie haben.

Dr. Kai Unzicker, Projektleiter der Bertelsmann-Stiftung für: Die Rolle der Religion in der modernen Gesellschaft (Religionsmonitor). Er ist Soziologe und promovierter Erziehungswissenschaftler Faktensammler - Dr. Kai Unzicker
Auf Deutschland bezogen gab es Ergebnisse, die so manchen erstaunten. "Wenn man die Gesamtbevölkerung in Deutschland nimmt, dann sind etwa 18 Prozent hochreligiös. 52 Prozent bezeichnen sich als religiös. Fast jeder Dritte, nämlich 28 Prozent bezeichnet sich als nicht religiös oder als Atheist", sagt Kai Unzicker, Projektmanager des Religionsmonitors. Der Anteil der Hochreligiösen verwundert ebenso, wie die Gesamtzahl religiöser Menschen. Jenen, die einen Esoterikboom oder eine Rückkehr zu Naturreligionen kommen sehen, bescheinigt Unzicker: "Neue esoterische Kulte und Naturreligionen sind in Westeuropa so klein, dass sie nicht erfasst werden konnten." Allerdings verpuffen esoterische Einflüsse keineswegs wirkungslos.
Religion wird bunter
Der Soziologe und Erziehungswissenschaftler konstatiert, "dass Religiosität individueller und zugleich vielfältiger wird, dass sie sich ausdifferenziert. Selbst im Rahmen ein und derselben Konfession wird der Glaube viel stärker individuell ausgelebt." Das bedeute, die Gläubigen nähmen sich Anleihen aus anderen Religionen, ließen sich beeinflussen von Esoterik, von anderen spirituellen Praktiken wie Meditation.
Ein Trend, den auch der Journalist Matthias Drobinski bestätigt: "Wir sehen diese Mischformen, dass Menschen zumeist aus einem christlichen Hintergrund kommen und davon noch gewisse Ahnungen haben. Die Bilder, die sie benutzen, sind dann doch die christlichen – und das mischen sie."

Das Bild zeigt die Silhouette eines Engels, der sich auf dem Potsdamer Dom vor dem Vollmond abhebt.  dpa  ( Engel - transzendente Allrounder in vielen Religionen
Der bei der "Süddeutschen Zeitung" für Religion zuständige Journalist, ist Co-Autor des Buchs "Glaubensrepublik Deutschland. Reisen durch ein religiöses Land". Gemeinsam mit seiner Kollegin Claudia Keller vom "Tagesspiegel" stellt Drobinski Menschen vor aus unterschiedlichen Religionen, Konfessionen und Denominationen - also den unterschiedlichen Glaubensrichtungen innerhalb einer Konfession. Allesamt Menschen von der Basis, Menschen die Religion leben und prägen. Darunter eine Wahrsagerin, Mitglied und Gottesdienstbesucherin in der evangelischen Kirche. "Sie findet Maria, die Mutter Gottes toll. Da ist sie auf einmal sehr katholisch. Sie glaubt aber auch an die Macht ihrer Karten und das Schicksal, sodass sie Menschen die Zukunft vorhersagt. Und das ist, glaube ich, das, was zunimmt: dass die Menschen sich auf einem wie immer gearteten christlichen Hintergrund ihre Religion selber machen." Ein Trend, der den Kirchen aus mancherlei Gründen nicht gefallen kann - besonders aus theologischen.
Kirche wird nicht untergehen

Matthias Drobinski, Süddeutsche Zeitung, Journalist, Autor. Das Bild wurde von Matthias Drobinski zur Verfügung gestellt. Matthias Drobinski
Dass die christlichen Kirchen verschwinden werden, glaubt Drobinski nicht, sondern, "dass sie auf unabsehbare Zeit die größten religiösen Gruppen bleiben werden. Allerdings mit dramatisch weniger Mitliedern als jetzt. Aber gleichzeitig wird es andere Aufbrüche geben." Damit meint er etwa Gläubige, die deutlich sagen: Wenn die Institution Kirche sich nicht reformwillig zeigt, dann muss der christliche Glaube jenseits der Institution innerhalb neuer Formen gelebt werden. "Da gibt es dann auch einen großen Optimismus", unterstreicht Drobinski.
Kai Unzicker prognostiziert für Deutschland ebenfalls: "Religiosität ist weiter vorhanden, aber in einer wenig institutionell gebundenen Form. Im Rest der Welt war sie sowieso nie verschwunden." Was vor allem die evangelische Kirche mit Blick auf die Zukunft ein wenig hoffnungsfroh stimmen kann, ist die Entwicklung der ehrenamtlichen Mitarbeit: Die Zahl der Freiwilligen stieg zwischen 1999 und 2009 um fast die Hälfte auf 2,1 Millionen.

IWF: Schuldenerlass für Griechenland?

Der Internationale Währungsfonds macht offenbar Druck auf Griechenlands Geldgeber. Medienberichten zufolge drängt der IWF auf einen Schuldenerlass für das krisengebeutelte Land.
Griechenlands europäische Geldgeber sollen dem angeschlagenen Mittelmeerland einen Teil der Schulden erlassen, schreibt das "Wall Street Journal" in seiner Ausgabe vom Dienstag unter Berufung auf "gut unterrichtete Kreise". Der Grund: Griechenland vermöge aus eigener Kraft seine Budgetziele kaum noch einzuhalten.
Anfang des Jahres hatten die Gläubiger dem hoch verschuldeten Staat einen strikten Sparkurs verordnet, doch Griechenland macht nur kleine Fortschritte. Der Internationale Währungsfonds (IWF) fordere deshalb, dass Griechenlands Verschuldung erst auf ein "nachhaltiges" Niveau sinken müsse, bevor der Fonds neue Milliarden zur Verhinderung einer Staatspleite zahlen würde, heißt es in dem Blatt. Am einfachsten wäre es aus Sicht des IWF, wenn Griechenlands europäische Gläubiger dem Land einen Teil seiner Schulden erlassen würden.
EU-Kommission: Verschuldungsziele gelten
Im Gegenzug für internationale Hilfen hat sich Griechenland verpflichtet, die Staatsverschuldung innerhalb der nächsten acht Jahre auf 120 Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken. "Das ist ein ehrgeiziges Ziel für Griechenland bis 2020 und wir halten an dieser Abmachung fest", sagte ein Sprecher der EU-Kommission. Das "Wall Street Journal" hatte dagegen berichtet, der Währungsfonds wolle die griechische Staatsverschuldung bis 2020 in der Nähe von 100 Prozent der Wirtschaftsleistung sehen. Experten weisen allerdings daraufhin, dass solche Zahlen angesichts der desolaten Wirtschaftslage in Griechenland ohnehin völlig willkürlich gewählt seien. Den Bericht des "Wall Street Journal" wollte der Sprecher der EU-Kommission nicht bestätigen.
Positive Signale kamen am vergangenen Wochenende, als die Troika aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds Griechenland Fortschritte bei den geordneten Sparbemühungen bescheinigte. 11,5 Milliarden Euro sollen 2013 und 2014 zusätzlich eingespart werden. Deshalb sollen bis zu 15.000 Staatsbedienstete entlassen und staatliche Unternehmen privatisiert werden - darunter auch mehrere Banken.

"Oh, Napoleon" auf Popkurs

Ausgereifte, verträumte Melodien mit eingängigen Texten und einer einschmeichelnden Frauenstimme: Fertig ist der schön verpackte Popsong made in Krefeld.
Sie machen schon seit der Schulzeit Musik: vier Jungens und ein Mädel, die sich der Popmusik verschrieben haben. Und sie nennen sich "Oh, Napoleon". Doch was eint sie mit dem legendären französischen Feldherren? Gar nichts, lautet die lapidare Antwort. Das Quintett hat den ursprünglichen sperrigen Namen der Band "Your Dumb Invention" über den Haufen geworfen und sich nach der US-amerikanischen Kleinstadt Napoleon benannt, in deren Nähe Songwriter und Gitarrist Maximilian Frieling geboren wurde. Kurzerhand wurde der Kürzel des Bundesstaates Ohio dazu gepackt - also "OH" -, fertig war der neue Bandname. Und wenn man denn schon amerikanische Wurzeln hat, kann man in seinen Liedern auch schon mal sehnsüchtig von "Chicago" träumen.
Eine Frau im Männerclub
Angefangen hat alles bei einer Party, als Gitarrist Maximilian Frieling und Bassist Danny Balzer sich bei einem kühlen Bier schnell über die Gründung einer Band einig wurden. Zusammen mit dem befreundeten Schlagzeuger Patrick Richardt schrieben sie als Trio erste Songs.

Katrin Biniasch, Sängerin der Krefelder Band Oh, Napoleon; Copyright: Horst Krauth Katrin Biniasch überzeugte die Männerband
Doch dem Sound fehlte der nötige Schliff, und so wurde Pianist Maximilian Landwehrjohann ins Boot geholt. Ganz waren die vier Jungs immer noch nicht zufrieden, eine Frauenstimme musste her. Die Wahl fiel auf Katrin Biniasch, die schon bei der ersten Probe überzeugte – wenn der eingeschworene Männerclub auch zunächst seine Bedenken hatte, wie Patrick Richardt gesteht: "Wir haben sofort gemerkt, dass die Stimme einfach sehr sehr gut ist, aber trotzdem hatten wir in dem Moment alle mit einer neuen Situation zu kämpfen, weil eben eine Frauenstimme die Musik auch deutlich verändert."
Vor allem Hauptsongschreiber Max Frieling musste sich damit anfreunden, seine Lieder weiblicher zu konzipieren. "Also das hat alles gedauert", sagt er, "aber jetzt sind wir sehr zufrieden. Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung."
Entdeckt im Niemandsland
Oh, Napoleons Frontfrau Katrin Biniasch wuchs in einer musikalischen Familie auf, ihre Eltern spielen selbst in Bands und brachten ihr schon früh das Singen bei. Außerdem hat der musikbegeisterte Vater in der Nähe von Krefeld einen Proberaumkomplex gebaut, in dem Dutzende von Bands spielen – eben auch Oh, Napoleon. Im Niemandsland zwischen Weiden und Feldern basteln sie an ihren Stücken und das offenbar so überzeugend, dass schon früh eine Plattenfirma auf die fünf aufmerksam wurde. "Das ist bei uns ein etwas verrückter Weg, der vielleicht ein bisschen anders läuft als bei vielen anderen jungen Bands", sagt Patrick Richardt. "Wir hatten nämlich das Glück, über das Portal myspace schon sehr früh von einer großen Plattenfirma angeschrieben worden zu sein."

Maximilian Landwehrjohann , Pianist der Band Oh, Napoleon
Copyright: Horst Krauth Maximilian Landwehrjohann verstärkt Oh, Napoleon am Piano
Im Fokus eines Labels zu stehen hatte aber auch Nachteile, räumt der Gitarrist ein: "So schön es auch war, dass so früh eine Plattenfirma auf einen zukommt, es wirft einen streckenweise auch zurück, weil man eben gar nicht diesen normalen Entwicklungsprozess geht, sondern schon von vorne herein jemanden da hat, der einem auch immer wieder mal in Maßen reinredet. Man lässt sich dann beeinflussen von Dingen, und bis wir diese Songs alle zusammen hatten und wirklich zufrieden waren, hat es eine Zeit lang gedauert."
Wie im Jahrbuch
Über vier Jahre mussten Freunde, Familie und die ersten Fans warten, bis Oh, Napoleon endlich das erste eigene Album präsentieren konnte - eine gefühlte Ewigkeit, findet Katrin Biniasch. "Wir haben die CD 'Yearbook‘ genannt, weil es so lange gedauert hat und so viel passiert ist. Viele, viele Texte des Albums verbinde ich mit der Phase der ganzen Warterei, Es geht natürlich um Liebe, ums Verlassen werden, das Leben generell, die Höhen und Tiefen - wie im Jahrbuch quasi."

Schlagzeuger Patrick Richardt von der Band Oh, Napoleon
Copyright: Horst Krauth Schlagzeuger Patrick Richardt hofft, mal von der Musik leben zu können
"Yearbook" ist ein Album mit geschickten Arrangements, das mühelos den einen oder anderen Ohrwurm hervorzaubert. Mögen die Songs anfangs recht simpel daherkommen, setzten sie sich irgendwann fest und wollen einen nicht mehr loslassen. Ausgereifte, verträumte Melodien mit eingängigen Texten wie in "I don't mind" und dazu Katrins schmeichelnde Stimme: Fertig ist der schön verpackte Popsong.
Und etwas anderes als Pop will Oh, Napoleon auch gar nicht machen, bestätigt Patrick Richardt. "Mir geht‘s auf die Nerven, dass man zu Popmusik immer noch einen Zusatzbegriff finden soll. Man braucht sich nicht zu schämen, einfach Popmusik zu sagen. Ob ich jetzt sage, wir machen Indie-Pop oder alternativen Pop, warum nicht einfach Pop?"
Im Rampenlicht
Anders als andere junge Bands hatte Oh Napoleon das Glück, durch die Plattenfirma im Rücken früh die richtigen Leute kennenzulernen. Oliver Zülch, der Produzent der Ärzte, griff ihnen ebenso unter die Arme wie der Gitarrist der populären Band Klee und das Management der nicht minder bekannten Sportfreunde Stiller.
Bei so viel prominenter Unterstützung ließ auch der ein oder andere große Auftritt nicht auf sich warten. "Das Highlight für mich in der kompletten Laufbahn von 2005 bis jetzt war Rock am Ring und Rock im Park, das war wirklich schon ein Riesenereignis", schwärmt Sängerin Katrin Biniasch. "Ich weiß noch, damals ganz am Anfang habe ich immer gesagt: Wenn ich mal bei Rock am Ring spiele, dann hab ich‘s geschafft. Vor 10.000 Leuten zu stehen passiert ja auch nicht jeden Tag, das war definitiv das Highlight."
Musik gegen Alltag

Die Krefelder Band Oh, Napoleon.
Rechte: snowhite 2011
Schöpferische Pause: Oh, Napoleon
Derzeit ist es etwas ruhig geworden um Oh, Napoleon. Die facebook-Seite ist verwaist, und Auftritte stehen auch nicht an. "Wir haben halt alle unsere Nebenjobs, wie gehen auch noch teilweise studieren", sagt Patrick Richardt. "Wenn man dann eben mal einen Monat keine Konzerte spielt und bekommt plötzlich von einem auf den anderen Tag gesagt: 'nächste Woche komplett auf Tour', dann muss man das seinem Chef im Kiosk oder in der Bar, wo man kellnert, erst mal erzählen und hoffen, dass der einen nicht direkt rausschmeißt."
Doch der Wunsch bleibt: Auf jeden Fall will das Quintett irgendwann mal mit Musik sein Geld verdienen. Pläne für ein zweites Album nach dem "Yearbook" haben sie auf alle Fälle schon in der Tasche. Und mit sechsjähriger Banderfahrung sind Oh, Napoleon schon fast alte Hasen im Popgeschäft und wissen genau, was sie wollen. "Also ich tanze da nicht groß rum, und ich mache keine Radschläge. Die Musik steht im Mittelpunkt", sagt Katrin Biniasch. "Wir haben einige Songs, die sehr emotional sind, und ich habe das Bedürfnis, wenn ich auf der Bühne stehe, die Leute damit zu berühren. Dafür ist Musik doch da."

Mit dem Akkordeon um die Welt

Die temperamentvolle Tastenvirtuosin Cathrin Pfeifer zelebriert ihre eigene World-Jazz-Melange und trägt die Klänge als leidenschaftliche Globetrotterin rund um den Erdball.
Entspannt und doch innig hält die Berlinerin mit den langen blonden Haaren das Akkordeon vor dem zierlichen Körper. Die Musikerin und ihr Instrument scheinen wie für einander geschaffen, im Laufe der Jahre gar zu einer Art Organismus zusammengewachsen zu sein.
Dabei gestaltete sich der Anfang dieser Liebesgeschichte eher nüchtern, ja pragmatisch, so dass sich Cathrin Pfeifer, wie sie schmunzelnd anmerkt, lieber eine aufregendere musikalische Erweckungsgeschichte ausdenken wollte. Doch nein: Es war ganz unromantisch, als ein Musikschuldirektor Anfang der 1970er Jahre den Entschluss fasste, sein Zögling solle Akkordeon spielen.
Später wurde die unwillige Schülerin mehrmals ermahnt, doch fleißiger zu üben – etwas, das bei dieser heute so akribischen Musikerin kaum mehr vorstellbar scheint. Angesichts des drohenden Rauswurfs aus der Musikschule, verrät Cathrin Pfeifer, habe sie sich in jungen Jahren dann doch für das Akkordeon und gegen den Sport entschieden.
Von nun an verlief der musikalische Weg schön linear: Nach dem Abitur studierte die junge Frau klassisches Akkordeon an der Musikhochschule Hanns Eisler Berlin. Und bevor sie sich 1987 in die berufliche Selbständigkeit wagte, brachte sie ein einjähriger Zwischenstopp im Friedrichstadt-Palast auf den Theatermusik-Geschmack.
Auf Theaterwegen

Die Akkordeonspielerin  Cathrin Pfeifer mit Instrument.
Bild: Götz Rakow
Cathrin Pfeifer und ihr Akkordeon hegen fast eine Liebesbeziehung
In Ostberlins Vorzeige-Revuetheater musizierte Cathrin Pfeifer jedoch nicht in den glamourösen Nachtshows, sondern in dessen kleinem Kellertheater namens "Das Ei". Ihr Einstieg dort war ein Kurt-Weill-Programm: "Das passte einfach zum Akkordeon", erzählt sie. "Und es entsprach mir und meinem Geschmack."
Diese erste Theatererfahrung erwies sich als prägend und nachhaltig, denn es sind bis heute immer wieder Stücke von Weill-Partner Brecht, die sie ins Theater zurückholen. "Es ist nicht immer einfach, aber stets aufs Neue spannend, in einem anderen Kontext Musik zu machen", schwärmt die Berlinerin. "Man kann in ganz andere Strukturen reinschnuppern."
Cathrin Pfeifer liebt die Veränderung; aus der Bewegung tankt sie ihre Energien für neue Kreationen. Neben der eigenen Konzert- und Studioarbeit, der bislang sieben Alben entsprangen, komponiert sie auch für Filme oder wird von Musikerkollegen für deren Projekte engagiert.
Fernweh und Heimkehr
Zu DDR-Zeiten, als die überzeugte Kosmopolitin noch nicht die weite Welt bereisen und sich von deren Klangvielfalt inspirieren lassen konnte, bekam sie immerhin schon eine Idee davon: dank geliehener Platten von Musikerfreunden mit Auslandskontakten, etwa den DDR-Folkrockpionieren von JAMS. Ab 1989 konnte Cathrin Pfeifer dann selbst ihre Fühler in alle geografischen und stilistischen Himmelsrichtungen ausstrecken und sich an die vielen Orte begeben, deren Musik auf die eine oder andere Art von ihrem originär deutschen Instrument inspiriert wurde.
"Das Akkordeon ist eigentlich ein aggressives Instrument", erklärt die Musikerin. "Überall, wo es hingekommen ist, hat es sich in die Volksmusik eingebracht, teilweise andere Instrumente verdrängt und die Musik auch verändert. Es ist spannend, wie viele Völker das Instrument für sich entdeckt und vereinnahmt haben. Selbst Naturvölker - da wird das Akkordeon manchmal für Trance-Zeremonien verwendet."

Die Akkordeonspielerin  Cathrin Pfeifer mit Band.
Bild: Götz Rakow
Cathrin Pfeifer im Kreise ihrer Musiker
Cathrin Pfeifers zumeist instrumental gestaltete Kompositionen führen Musette, Blues, Jazz, Einflüsse aus argentinischem Tango oder Chamamé-Musik mit Klängen und Rhythmen Brasiliens und vielen weiteren Reisemitbringseln zusammen, auch mit Akkordeon-fernen Sphären. Insofern hatte die Berlinerin kein Problem damit, zum Beispiel als Gastmusikerin mit der ostdeutschen Rockband Keimzeit auf Tour zu gehen.
Wie jede der sehr verschiedenen Zusammenarbeiten hat auch diese Erfahrung ihre Spuren hinterlassen. "Mit einer beliebten Band vor großem Publikum zu spielen und dabei auch etwas nachzuholen, weil ich doch selber nie so ein Rockfan war, ist etwas Neues für mich gewesen", erzählt die musikalische Individualistin. "Das finde ich sehr reizvoll an solchen Zusammenarbeiten: etwas zu lernen, das bislang an mir vorbeigegangen ist – seien es Genres oder Orte. Ich brauche eigentlich nur zu warten, und dann kommt schon wieder etwas auf mich zu, was meinen Horizont erweitert."
Imaginäre Folklore
Cathrin Pfeifers Horizont kann gar nicht weit genug sein. Das belegen auch die Landschaftsfotos auf den CD-Covers der Musikerin, die offenbar immer wieder die ländliche Idylle als Ausgleich zur urbanen Turbulenz, als Ruhe- und Inspirationsquell sucht. Bei allem Fernweh, dem die Instrumentalistin so oft wie möglich nachgibt, ist Berlin stets ihre Scholle geblieben.
Dort gründete sie 1994 auch ihre eigene Band, mit der sie hauptsächlich ihre eigenen Kompositionen spielt. Von Album zu Album, von Projekt zu Projekt passieren personelle Wechsel, die einer allesamt "überlebt" hat: der langjährige Wahl-Berliner Topo Gioia, ein argentinischer Perkussionist und Seelenverwandter seiner deutschen Kollegin. Nicht zuletzt mit Hilfe seiner Kreativität vermag Cathrin Pfeifer ihre rhythmische und klangliche Visionen in eine Art imaginäre Folklore zu verwandeln.
Selbst ist die Frau

Die Akkordeonspielerin  Cathrin Pfeifer.
Bild: Götz Rakow
Zwei leidenschaftliche Reisende: die Musikerin und ihr Instrument
Abgesehen von den vielen Herren an ihrer Seite ist die Musikerin, die im Übrigen seit längerem die Sängerin Etta Scollo am Akkordeon begleitet, durchaus eine gute Alleinseglerin und pfiffige "selfmade woman". Etwa wenn es darum geht, eines ihrer vielen Instrumente auf Tour mal notdürftig zu reparieren. Dafür hat Cathrin Pfeifer vor Jahren mal einen einwöchigen Crashkurs in einer renommierten Kölner Akkordeonwerkstatt absolviert.
Bei dieser Gelegenheit kam sie auf die Idee, zum Spenden alter Instrumente aufzurufen und ließ diese nach Madagaskar schippern. Ein nicht ganz uneigennütziges Unternehmen, denn so konnte sich die reiselustige Frau, die eigentlich mal Stewardess werden wollte, selbst in jene Akkordeon-Nation im Indischen Ozean begeben.
Reiseführer Akkordeon
"Mein Instrument ist nun mal der beste Reiseführer", findet Cathrin Pfeifer. Mittlerweile hat es sie auf alle Kontinente außer nach Australien gelotst. In Brasilien erntete sie hier und da Erstaunen, als sie die Einheimischen aufklärte, dass das dort längst eingemeindete, überaus populäre Akkordeon eigentlich aus Deutschland stamme. Und in Ägypten beklebt man die Stimmzungen mit Kaugummi, um so die dort üblichen Vierteltöne spielen zu können, hat sie gelernt.
"Hier und da fragt man mich fasziniert nach dem Namen dieses klingenden Mitreisenden", lacht Cathrin Pfeifer. "Und an nicht wenigen, sogar deutschen Flughäfen hat man sich schon erkundigt, ob ich eine Schreibmaschine mit an Bord nehmen will." Wenn ein Akkordeon eine Reise tut, dann kann es also offensichtlich was erzählen.

Der deutsche Rapper Casper (Foto: Jan Knoff) Musik

Totgesagte leben länger. Benjamin Griffey alias Casper haucht dem deutschen Hiphop neues Leben ein und bahnt mit seinem Zweitling "XOXO" den Weg für frischen, intelligenten Rap made in Germany.
Ist der deutsche Hiphop tot? Nicht ganz, denn es gibt ja Leute wie Casper. Benjamin Griffey heißt der Mann mit bürgerlichem Namen, und er singt mit solch einer Reibeisenstimme, als wolle er die Salbeiteeindustrie retten. Aufgewachsen ist er in Amerika als Sohn eines US-Army-Soldaten, mit elf Jahren kam er nach Deutschland und landete in Bielefeld, Im nahe gelegenen Extertal war er 1982 zur Welt gekommen, kurz danach zog die Familie in die USA. Jetzt, mit 29 Jahren, lebt er in Berlin und schwebt regelrecht auf dem Hiphop-Olymp: Spätestens seit seinem 2011 erschienenen Album "XOXO" wird er als Retter des deutschen Rap verehrt.
Sein zweites Werk schlug wie ein Komet ein und wurde schon im Vorfeld in den Feuilletons gefeiert. Das Ergebnis war Platz eins der deutschen Albumcharts - und das wochenlang. Der Einzige, der diesen Erfolg nicht so klar voraussah, war Casper selbst: "Als wir die Platte abgegeben haben, dachte ich: Okay, das ist jetzt das Unpoppigste und Verkopfteste auf der ganzen Welt", erzählt er. "Ich war wirklich sicher, dass es so ein Liebhaberding werden würde und habe tatsächlich in Bielefeld nachgefragt, ob mein alter Thekenjob noch frei ist."
Politisch korrekt und doch so cool

Casper live beim Dockville Festival in Hamburg-Wilhelmsburg (Foto: picture-alliance/dpa) Rumpöbeln ist out: Caspers positive Message kommt beim Publikum an

"XOXO" wird von vielen jetzt schon als das Standardwerk des deutschen Rap gehandelt; 2012 bekam Casper dafür die Goldene Schallplatte. Endlich wieder ein Aushängeschild mit Vorbildcharakter, werden sich viele besorgte Eltern sagen, die froh sind, dass es sich hier nicht um Gewalt verherrlichenden Gangsterrap handelt.
Kein Lagerdenken, kein gegenseitiges "Andissen" (wie Schlechtmachen im Jugendjargon heißt), vielmehr die lyrische Abhandlung des Lebens mit allen Gefühlsspektren, die es so bereithält. Dafür wurde Casper anfänglich von Publikum und Kollegen abgestraft: "Emo-Spinner", "Müsli-Gutmenschen-Rap", "Wie läuft der denn rum, ganz klar Stylenote 6". So machte man ihn nieder.
Doch Casper steht zu sich und seinen Inhalten. Der ehemalige Pädagogikstudent hat eine klare Haltung ohne Zeigefinger. "Wenn ich aus voller Überzeugung sage, ich finde Homophobie richtig krass veraltet, dann hoffe ich, wenn ich tatsächlich so etwas wie ein Opinionleader sein sollte, dass das dann auch von den Leuten aufgenommen wird", betont er. "Ich möchte nicht der Zwanzigste sein, bei dem jedes dritte Schimpfwort 'Behinderter' oder 'Schwuler' ist."
Mittendrin im Zeitgeist

Casper auf der Bühne Foto: Jan Knoff Mit "XOXO" zum Erfolg
Caspers Texte wollen einerseits nicht verletzen und beschreiben andererseits den Zeitgeist und Status quo der Generation um die 30: Es sind die Leute, die die Zeit vor und nach der digitalen Revolution hautnah mitbekommen haben, die keine Konventionen mehr akzeptieren und dafür den Preis der Sicherheit zahlen.
Sie richten es sich in ihrer vermeintlichen Perspektivlosigkeit gemütlich ein, aber die Party macht trotzdem Spaß, solange man auf der Gästeliste steht und Freigetränke bekommt. Vielleicht müsste einfach mal wieder eine neue Rebellion her? Casper könnte einige Inspirationen und den Soundtrack dazu liefern; ihr Anführer will er auf keinen Fall sein.
Lieber konzentriert er sich auf seinen Sound. Der musikalische Kniff bei "XOXO" ist denn auch das nicht eindeutige Genre: Offiziell ist es Hiphop, doch zwischen den Tönen klingt auch Indie-Rock oder Emocore an. Und Benjamin Griffey alias Casper hat tatsächlich eine Vergangenheit in der Hardcore-Musik. Ihm ist es wichtig, dass sich möglichst viele Subkulturen mit seiner Art Rap anfreunden; der Mainstreamvorwurf lässt ihn derweil kalt. Außerdem, findet er, könne ja auch die Mehrheit mal guten Geschmack beweisen.

Wunderlampe für die Welt

Entstanden ist sie in der Werkstatt einer bayerischen Berufsschule. Heute leuchtet sie in aller Welt. Für die Erfindung ihrer umweltweltfreundlichen Lampe "Solar 2000" wurden die Schüler von der UN ausgezeichnet.

Siegfried Popp hält Solarlampen in der Hand (Foto: DW / Christine Haberlander) Siegfried Popp hat die Solarlampe mit Berufsschülern entwickelt
Siegfried Popp hält die grüne, sechseckige Solarlampe stolz in der Hand. Eine Schönheit ist sie nicht, aber dafür sehr robust. Der pensionierte Berufsschullehrer schmeißt die kleine Lampe aus 1,20 Metern Höhe auf den Boden. Es scheppert ein bißchen, aber die Lampe hat den Sturz heil überstanden. "Sie brennt jetzt etwas dunkler, weil sie auf den Schalter gefallen ist", sagt er, "aber sie geht noch und das ist sehr wichtig."
Schließlich muss die Solarlampe einiges aushalten. Nicht nur den Transport in mittlerweile über 30 Länder dieser Erde. Dort, wo sie zum Einsatz kommt, ist Härte gefragt. In den einfachen Lehmhütten oder Steinhäusern Tansanias, Liberias, Ghanas oder Boliviens fällt sie schnell mal auf den Boden und spendet trotzdem noch helles, rußfreies Licht. Vor allem aber ist sie viel ungefährlicher und gesünder als die herkömmlichen Petroleumlampen.
Exportschlager Solarlampe

Ausbildung in der Solarwerkstatt Mpwapwa in Tansania (Foto: DW / Christine Haberlander) In Mpwapwa (Tansania) ist eine eigene Solarwerkstatt entstanden
Siegfried Popp entwickelte die umweltfreundliche Lampe 1996 mit Industriemechanikern im dritten Lehrjahr an der Berufsschule im oberbayerischen Freilassing. Die Lampe war ursprünglich nur für die Partnergemeinde Mpwapwa in Tansania bestimmt. Doch dort kam sie so gut an, dass Popp 2002 mit seinen Schülern und Partnern der Ausbildungsbranche den Verein "Solarprojekt Freilassing" gründete. Seither hat er über 12.000 Lampen und Bausätze exportiert.
In einigen Entwicklungsländern sind sogar Werkstätten für die Montage und die Verbreitung der innovativen Technologie entstanden. 2003 erhielt Popp für das ehrgeizige Projekt den Deutschen Solarpreis, zwei Jahre später wurde der Verein als Offizielles Projekt der UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" ausgezeichnet.
Eine Lampe zum Radiohören

Kinder in Benin machen ihre Hausaufgaben im Schein einer Öllampe (Foto: DW / Christine Haberlander) Kinder in Benin mussten früher im Schein einer Öllampe lernen ...
Nicht nur der Verein und die Abnehmer sind im Laufe der Jahre gewachsen, auch die Solarlampe hat sich weiterentwickelt. Das neueste Modell "A-Light S" kann auf drei Stufen gedimmt werden. Benutzer können mittels der Sonnenergie ein Radio betreiben oder über einen Adaptersatz sogar Handies aufladen.
69 Euro kostet eine Lampe inklusive Solarmodul, der komplette Bausatz kostet 59 Euro. Inzwischen hat das Projekt viele Unterstützer gefunden. Interessenten, vor allem auch Schüler aus ganz Deutschland, wenden sich an den Verein und bestellen die Lampen oder Bausätze, um sie Entwicklungsländern zu spenden. Der Verein "Solarprojekt Freilassing" bildet junge Menschen in Freilassing aber auch vor Ort in den verschiedenen Ländern aus.
Mehr als technisches Know How

Kinder in Benin machen ihre Hausaufgaben im Schein einer Solarlampe aus Freilassing (Foto: DW / Christine Haberlander) Mit der Lampe aus Freilassing können die Schüler mehr sehen
Mit der Solarlampe habe sein Verein zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, sagt Siegfried Popp. "Einerseits helfen wir Menschen in Entwicklungsländern, andererseits lernen die Schüler auch Techniken, die vom Lehrplan gefordert werden." Dazu gehöre die Konstruktion der Lampe, das Zeichnen am Computer (CAD), die Materialplanung sowie das Anfertigen von Hilfsmitteln und Werkzeugen.
Bei Einsätzen vor Ort können die Schüler ihr Wissen an junge Menschen in Entwicklungsländern weitergeben - und dabei selbst etwas lernen, betont Popp. "Sie haben alle einen anderen Blick auf Entwicklungsländer bekommen", beobachtet der pensionierte Lehrer. "Vor allem aber haben sie hautnah erfahren, dass es uns in Deutschland sehr gut geht."

Fair gehandelte Produkte immer beliebter

Beim Shoppen armen Bauern in Lateinamerika helfen - der faire Handel macht es möglich. Das Segment wächst rasant. Doch die Agrarspekulationen machen dem Markt zu schaffen.
Für die Deutschen wird das gute Gewissen beim Einkauf immer wichtiger. Sie kaufen Bioprodukte und hoffen, dass es ihnen und der Umwelt damit besser geht. Sie achten darauf, dass die Frühstückseier von Freilandhühnern gelegt werden und sie denken offenbar zunehmend an die Bauern und Handwerker in schwächer entwickelten Regionen dieser Erde. Das Forum Fairer Handel (FFH) – ein Dachverband von entwicklungsorientierten Organisationen - hat ausgerechnet, dass in Deutschland 2011 477 Millionen Euro für fair gehandelte Produkte ausgegeben wurden. Bei denen wird damit geworben, dass ihre Erzeuger mit besonderer Fairness und Transparenz entlohnt werden. "Das Segment der fairen Waren hat sich in den letzten drei Jahren verdoppelt", sagt FFH-Geschäftsführerin Antje Edler zum Absatz in Deutschland.

Antje Edler, Geschäftsführerin des Forums Fairer Handel
10.08.12 in Berlin FFH-Geschäftsführerin Antje Edler baut auf die bewussten Konsumenten
Kaffee, Südfrüchte und zunehmend auch Schnittblumen aus dem fairen Handel sind nach Angaben des FFH Hauptträger des Booms. "Die Leute kaufen schon sehr bewusst ein", sagt Edler, "und sie haben es immer leichter, fair gehandelte Produkte zu kaufen." Sogar große Discounter wie Aldi-Süd vertreiben inzwischen Waren aus fairem Handel und der Coffee-to-go mit dem entsprechenden Gütesiegel ist ohne große Probleme in fast jeder Fußgängerzone zu haben. "Es sind gut 3000 Geschäfte mehr als 2010, bei denen man die Sachen kaufen kann", freut sich Edler.
Ein kleiner, aber wachsender Markt
Mit 84 Prozent machten Lebensmittel den größten Teil des Absatzes aus. Insgesamt würden 12.000 verschiedene fair gehandelte Produkte in Deutschland vertrieben. Allerdings ist der Anteil der als fair deklarierten Produkte am Gesamtmarkt nach wie vor eher gering – selbst beim Kaffee geht das FFH von nur zwei Prozent aus, bei den Blumen sollen es immerhin 6,8 Prozent sein.
Nach Edlers Angaben profitieren über eine Million Kleinbauern, Arbeitnehmer und deren Familien von den Absatzerfolgen des fairen Handels. Er bedeutet mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen in Lateinamerika, Afrika und Asien. Aber Edler sieht die Strukturen der erzeugerfreundlichen Vermarktung in Gefahr. Sie verweist auf die teilweise extremen Preisschwankungen für Agrarprodukte auf den Weltmärkten. "Dadurch bekommen unsere Handelspartner und Kooperativen erhebliche Schwierigkeiten bei der Planung und Kalkulation."
Bedrohliche Situation durch Spekulation
FFH-Geschäftsführerin Edler sieht im Einfluss von Finanzinvestoren eine wichtige Ursache für die Preisbewegungen bei Nahrungsmitteln. Es fließt viel Kapital in diesen Sektor und in der Folge entwickeln sich die Preise immer wieder losgelöst von der Realwirtschaft. Es sind dann nicht mehr die Jahrhundertdürre in den USA, oder die Nutzung großer Anbauflächen für Bioethanol, die zu Nahrungsmittelknappheit und hohen Preisen führen, sondern die Renditeerwartungen von Investoren. Marita Wiggerthale von Oxfam warnt vor einer Spekulationsblase mit tödlichen Folgen: "Es ist doch zynisch, dass mit Wetten auf hohe Preise Gewinne gemacht werden, denn schließlich müssen Millionen Menschen hungern, wenn die Lebensmittel teurer werden."

Marita Wiggerthale, Agrarexpertin der Entwicklungsorganisation Oxfam
10.08.12 in Berlin Osfam-Expertin Marita Wiggerthale ist besorgt über Spekulationsgeschäfte mit Lebensmitteln
Wiggerthale fordert eine stärkere Regulierung des Warenhandels. Der Terminhandel sei dafür eingerichtet worden, um Hersteller und Händler mit Kapital zu versorgen. Sie fordert Obergrenzen für Spekulanten. "Die Politik muss verhindern, dass Finanzjongleure die Terminbörsen dominieren." Auf die Gewissensbisse der Anleger möchte sich die Oxfam-Mitarbeiterin nicht verlassen.
Trotzdem ist auch die Angst vor den moralischen Bedenken der Anleger durchaus wirkungsvoll. Unter dem Druck von Entwicklungsorganisationen erklärte die Commerzbank jetzt, dass sie aus dem Geschäft mit Agrar-Rohstoffen aussteigen will. Nun ist Wiggerthale gespannt, wie es weiter geht. "Wir warten noch auf ein Zeichen von der Deutschen Bank und der Allianz, weil das die beiden größten Akteure beim Handel mit Nahrungsmittelrohstoffen sind."